Letzte Hilfe

Der Kreislauf von Leben und Tod ist ein natürlicher und unvermeidlicher Teil unseres Daseins. Doch ist das Thema Tod und Sterbebegleitung für viele von uns ein schweres und sehr emotionales Thema. Dennoch kann es uns jederzeit im Alltag treffen, sei es der Tod von Freund:innen oder Familienmitgliedern oder der Tod von Patient:innen oder deren Angehörigen. Oft tritt der Tod auch nicht plötzlich ein, sondern ist ein langer stattfindender Prozess.
Wie kann man damit umgehen und wie kann man sogar mit einer positiven Einstellung dem Thema Tod entgegen treten. Und wie sieht Sterbehilfe bzw. Letzte Hilfe aus?
Dazu habe ich Andrea Stiesch in einem Interview befragt. Sie ist ausgebildete Hospiz- und Trauerbegleiterin.
Interview mit Andrea Stiesch, ausgebildete Hospiz- und Trauerbegleiterin
Wer bist du und wie bist zu den Therapielotsen gekommen?
Ich bin Andrea Stiesch und bin seit Dezember 2024 bei den Therapielotsen, im Zuge der Orientierung, wo mein Leben weiter hingehen soll. Ich habe zwischendurch lange Jahre nicht therapeutisch gearbeitet und bin da wieder gelandet, weil ich gesagt habe, jetzt bist du 50, entweder ist jetzt der Punkt oder der Zug ist abgefahren. Neben der Bürotätigkeit, die ich die ganzen Jahre neben der Kinderbetreuung gemacht habe, habe ich das Zwischenmenschliche total vermisst. Daher habe ich die Hospiz- und Trauerbegleiter-Ausbildung gemacht, damit ich da den Bezug habe einerseits therapeutisch aber auch menschlich arbeiten zu können. Weil ich das als eine meiner großen Stärken sehe, da bin ich einfach gut. Ich kann ganz bestimmte Stimmungen auffangen, auch aushalten. Das ist glaube ich in beiden Bereichen total wichtig. Da sehe ich absolut eine meiner Stärken und da wollte ich gerne wieder hin und ich bereue das nicht eine Sekunde am Tag.
Wie bist du dazu gekommen die Hospiz- und Trauerbegleiter-Ausbildung zu machen?
Ich sehe für mich eine Parallele zwischen der Geburt oder wenn jemand auf die Welt kommt, diese Energie die man erlebt und der Energieverlust, wenn jemand stirbt. Das war auch wirklich der allererste Gedanke bei der Hausgeburt meines zweiten Sohnes, dass ich gesagt hab, hier das Thema Tod macht mir gar keine Angst, weil das Thema Leben mir ja auch gar keine Angst macht. Das war der Moment, wo ich das erste Mal dachte, schau doch mal, ob das nicht mal was für dich ist. Weil da war ich ja schon 3 Jahre damals aus dem Beruf raus, denn ich bin schwanger geworden in der Elternzeit von meinem ersten Kind und hab dann gedacht: „Ach mit 2 Kindern wieder arbeiten wird schwierig“ und dann kam noch das Dritte.
Das ist eine tolle Sichtweise: Dass Leben und Tod zusammenhängen und eine gleiche Energie vorherrscht. Das regt echt zum Nachdenken an.
Ja, das hat mir echt total den Schrecken genommen, als ich meine erste Begleitung hatte. Das war auch damals tatsächlich die Erste, wo ich alleine hingeschickt wurde nach der Ausbildung. Da war ich zwar schon ein paar Mal in der Familie, aber da starb dieser Mensch auch wirklich in meiner Anwesenheit. Ich habe gedacht, da haben wir nie drüber gesprochen, was mach ich denn jetzt? Denn es hieß immer nur, du bist in der Familie und irgendwann verstirbt der Mensch. Ich dachte irgendwann verstirbt er und ich erhalte eine Nachricht, dass er verstorben ist. Aber dass dieser Mensch verstirbt, während ich daneben sitze, das hat mich doch ziemlich kalt erwischt. Da habe ich das erste Mal echt gemerkt, das ist überhaupt gar nicht schlimm. Lass dich einfach mal drauf ein. Ich habe da natürlich meine Ausbilderin angerufen und habe gefragt: Was muss ich denn jetzt machen? Muss ich überhaupt irgendwas machen? Sie hat nur gesagt: „Du gehst wieder rein, wenn du willst und guckst, was passiert.“ und das habe ich dann halt auch gemacht.
Und du hast da eine richtige Ausbildung gemacht?
Ja richtig. Das ist eine ehrenamtliche Ausbildung von der Caritas, die wurde bei uns angeboten. Richtig mit Bescheinigung und ich musste 20 Praxisstunden im Pflegeheim ableisten. Zusätzlich haben wir uns etwa ein dreiviertel Jahr lang einmal im Monat, immer mittwochs und samstags getroffen.
Was macht dir Spaß oder ist das Besondere an der Trauerbegleitung für dich?
Das ist eine schwere Frage, aber gleichzeitig auch ganz leicht. Weil es macht mir Freude, so verrückt wie das klingt. Mir macht das Freude, wenn ich sehe, dass jemand friedlich gehen kann oder wenn ich die Angehörigen beruhigen und in dieser Situation unterstützen kann. Auch wenn der Patient in meinem Beisein stirbt und friedlich gehen kann. Da zieh ich total viel Energie raus. Und tatsächlich macht mich das glücklich. Das klingt total blöd von außen, weil das ja eigentlich auch ein sehr trauriger Moment ist. Aber ich habe da festgestellt, das ist etwas, dass erfüllt mich total mit Leben. Das trifft es am besten, das dieser Tod mich tatsächlich mit Leben erfüllt.
Das finde ich völlig nachvollziehbar. Das ist wahrscheinlich auch die Wirksamkeit, die man spürt. Weil man auch nicht nur den Patienten begleitet, sondern auch die Angehörigen, die man mit unterstützt. Das ist ja das, was du auch selber gesagt hast, dass die Arbeit ja nicht nur die reine Sterbebegleitung oder Trauerbewältigung ist, sondern noch viel mehr. Sei es auch manchmal, dass man nur die Angehörigen betreut und ihnen hilft.
Genau, je nachdem was wirklich gewünscht ist. Denn es kann wirklich sein, dass die Angehörigen dann sagen: „Ach, der schläft die ganze Zeit, da gucken wir nur ab und an mal rein, aber ich brauch mal Einen, mit dem ich reden kann“ oder „Ich brauch mal jemanden, der mit mir gemeinsam putzt, weil ich alleine den Hintern einfach nicht hochbekomme und meine Energie woanders ist.“ Das ist tatsächlich das, was ich richtig gut finde. Das ist auch immer trotz allem ein Aufraffen, was durchaus positiv ist.
Ja das fand ich ja auch sehr interessant. Die Vielfältigkeit, die dahintersteckt und wie die Trauerbegleitung praktisch aussieht oder aussehen kann.
Genau, dass man wirklich da die Unterstützung und die Energie hingeben kann und die Kraft, die gebraucht wird. Sei es eben wirklich: „Ich schlafe, ich muss raus, ich will mal in Ruhe einkaufen, ich habe einen Arzttermin“ oder „Ich muss mir keine Sorgen machen, dass mein Angehöriger da alleine liegt.“
Was ist für dich herausfordernd an der Trauerbegleitung? Du hast von den schönen Seiten berichtet, aber es geht ja auch um den Tod und das ist bestimmt nicht immer einfach?
Ja, das finde ich tatsächlich schwierig. Da gehe ich auch immer anders mit um.
Was ich aber am Herausforderndsten finde ist, wenn ich merke, dass ich abgelehnt werde. Denn das kommt auch schon mal vor, dass die Chemie einfach nicht stimmt. Dass man reinkommt und man keinen Zugang kriegt. Angehörige können das oft ganz lange höflich überspielen. Das hatte ich auch nur ein einziges Mal und dann habe ich das ganz offen angesprochen, dass ich das Gefühl habe, dass ich vielleicht nicht die richtige Person bin und das konnte sich dann aber aufklären. Sie wussten einfach selber gar nicht, wo der Hase gerade langläuft und waren total überfordert und am Ende war ich dann doch die Richtige. Das ist aber dennoch das, wo ich wirklich immer noch ein bisschen Angst habe, dass ich so gar keine Verbindung und keinen Draht kriege. Manchmal kann man ja auch mit den Sterbenden gar nicht mehr sprechen und das ist dann auch schwierig, weil dann muss ich auch überlegen, will ich sie noch anfassen, ist das sinnvoll. Ich weiß gar nicht so recht, ob das dem Patienten jetzt recht ist, wenn ich ihn anfasse. Manchmal habe ich das Bedürfnis, dass ich noch mal sagen muss, ich muss sie jetzt mal anfassen oder jetzt muss ich ein bisschen fester anfassen. Einfach aus meiner Unsicherheit heraus, dass ich abgelehnt werde oder dass es nicht die Botschaft mitbringt, die ich eigentlich mitgeben will.
Das ist aber meine größte Angst, das mit der Energie, mit dem guten Gedanken, mit dem ich komme, dass die nicht ankommt. Manchmal stimmt es halt einfach nicht, das weiß man ja auch vorher nicht. Aber dann damit umzugehen, dass nicht persönlich zu nehmen, sondern auch anerkennen und zu sagen: „Vielleicht bin ich hier gerade nicht die Richtige, oder?“ Oder man es offen anspricht und fragt: „Was genau braucht ihr von mir, damit ihr das bekommt, was euch Erleichterung bringt?“ Das finde ich nicht einfach, weil das ja eh schon so eine belastende Situation für die Angehörigen ist. Dann auch noch zu sagen, jetzt bin ich hier, seht zu wie ihr mit mir klarkommt. Das ist ja schwierig, weil eigentlich wollen wir ja helfen und unterstützen und nicht noch eine zusätzliche Belastung sein.
Richtig, dass ist ähnlich wie im normalen Therapiealltag. Man hat manche Patienten, da stimmt die Chemie nicht so und da gibt es andere Therapeuten, die kommen besser ran. Das muss man sich dann in dem Fall auch eingestehen. Gerade wenn es das Thema Sterben oder Tod ist, dann ist es wahrscheinlich auch immer besonders wichtig, dass man das offen kommuniziert und sagt: „OK, es passt irgendwie nicht“.
Genau. Das ist zumindest auch immer mein Anspruch. Manchmal, fände ich das einfach ganz fair, wenn die andere Seite sagt: „Also mit dir kommen wir gar nicht zurecht, wir hatten uns was anderes gewünscht.“ Klar, das tut sicherlich im ersten Moment weh, weil man ja auch mit den besten Absichten dahin geht. Aber in der Situation finde ich, sollten einfach nicht ich und meine verletzten Gefühle im Mittelpunkt stehen, sondern ganz klar die Familie, die sich nur Unterstützung wünscht.
Genau. Ich finde da auch eine offene Kommunikation am besten, auch wenn das natürlich immer was mit einem macht. Jetzt hast du von herausfordernden Seiten der Trauerbegleitung berichtet, aber wie kommst du mit dem Tod und den Schicksalen klar? Kannst du das gut verarbeiten?
Tatsächlich total. Ich weiß nicht, ob das auch bedingt durch meine eigene Geschichte ist. Mein Papa ist nach langer Krankheit gestorben, als ich 20 Jahre alt war. Da habe ich ganz viel für mich gelernt und hab eben auch gelernt, das überlebt man, das vergisst man zwar nicht, aber man überlebt das auch in so einer Situation. Meine Mama ist dann 2012 plötzlich gestorben da war mein drittes Kind gerade ein Jahr alt.
Ja, ich habe schon viel erlebt und viel gesehen.
Auch wenn manche Menschen sehr qualvoll sterben, gerade wenn sie sich wehren und gar nicht gehen können. Das ist echt elendig anzusehen, aber schockt mich tatsächlich nicht. Da denke ich, ich weiß, es geht vorbei. Das braucht jetzt einen langen Atem und du kannst einfach versuchen, da Ruhe und gute Energie reinzubringen und alles andere liegt nicht mehr in meiner Hand. Also das, da habe ich tatsächlich gar keine Angst vor.
Also hast du für dich ein guten Coping-Mechanismus entwickelt damit umzugehen?
Ja absolut. Deswegen glaube ich, ich bin da echt richtig, weil ich da tatsächlich wenig Angst habe.
Hast du noch Tipps für unsere Kolleg:innen zum Thema Letzte Hilfe, falls der Fall eintritt, dass der Patient/die Patientin im Sterben liegt oder es absehbar ist.
Mein wichtigster Tipp ist es: Einfach hingehen. Nicht sagen: „Mein Bewohner liegt im Sterben, also fällt die Therapie aus.“ Auf gar keinen Fall. Jetzt erst recht reingehen. Natürlich nur wenn man das kann, weil das nicht jeder Kollege/jede Kollegin kann, was völlig okay ist. Denn in meinen Augen ist die bloße Anwesenheit, gerne auch mit Berührung, in diesem Fall auch schon Therapie. Einfach Aushalten und einfach da sein und signalisieren, es ist alles in Ordnung, hier passiert nichts Schlimmes, du bist nicht alleine, ich bin da und ich kümmere mich und ich komme auch morgen wieder. Wenn man zweimal am Tag die Möglichkeit hat, kann man auch gerne nochmal reingucken.
Danke! Das sind doch sehr schöne Abschlussworte. Hast du denn noch etwas, was du Loswerden möchtest?
Ich habe echt die Erfahrung gemacht, dass ich oft die Einzige außenstehende Person bin, die regelmäßig kommt, also selbst Kinder, oder Enkelkinder, wenn es überhaupt Kinder gibt. Viele von meinen Klienten haben gar keine Kinder mehr oder hatten auch keine. Da denke ich immer, da habe ich ja auch nicht nur meine Therapeutenrolle, sondern in der Situation auch tatsächlich noch eine ganz andere Rolle, die des letzten nicht pflegenden Personals. Da nehmen wir manchmal echt noch eine ganz andere Rolle ein, als die der reinen Therapeutin/des Therapeuten. Weil wir vielleicht noch als Einzige regelmäßig Gesicht zeigen. Das ist in so einer Situation noch mal ganz wichtig, wenn man sich dieser Sache einfach bewusst ist. Dass wir nicht nur Therapeut:in, sondern auch eine menschliche Bezugsperson sind.
Da hast du vollkommen Recht. Ein schöner Abschlusssatz. Vielen Dank für das Interview!

Jan arbeitet als Physiotherapeut bei den Therapielotsen in Berlin. Er schreibt regelmäßig Artikel für den Blog und für unsere interne Flaschenpost.

Andrea Stiesch arbeitet als Physiotherapeut bei den Therapielotsen in Berlin. Er schreibt regelmäßig Artikel für den Blog und für unsere interne Flaschenpost.